Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche

Zur Entwicklung der Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche in Österreich

Prozessbegleitung ist eine noch junge Interventionsform im Kinder- bzw. Opferschutzbereich. Vor rund 20 Jahren war die Situation von Kindern und Jugendlichen, die als Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt in Österreich in einem Strafverfahren gerichtlich aussagen mussten, anders als heute: Minderjährige wurden vor Gericht so behandelt wie erwachsene ZeugInnen, d.h. sie mussten in der Hauptverhandlung im Verhandlungssaal vor dem Angeklagten, allen Verfahrensbeteiligten und möglichen ZuschauerInnen aussagen. Die Verfahren dauerten lange, sodass die Aussage oft erst viele Monate nach den Übergriffen erfolgte. Es gab bei Gericht wenig Wissen und kaum Verständnis für die Belastungen der Kinder, und vorhandenes Fachwissen (z.B. über psychische Traumata) wurde nicht genutzt. Gerichtsverfahren waren für Kinder also sehr belastend und führten oft zu erneuten Traumatisierungen. In den meisten Fällen kam es nicht zu einem zufrieden stellenden Verfahrensausgang.

Anfang der 1990er Jahre gab es erste Schritte, die Bedürfnisse von Opfern bei Gericht stärker zu berücksichtigen. Schon 1987 hatte eine Gesetzesänderung Opfern von Sexualdelikten ermöglicht, in Anwesenheit einer Vertrauensperson auszusagen. 1993 wurde dieses Recht auf alle ZeugInnen ausgeweitet, und die Möglichkeit der schonenden oder kontradiktorischen Einvernahme von ZeugInnen (Befragung in einem eigenen Raum in Abwesenheit des Beschuldigten) wurde gesetzlich verankert.

Die Wiener „Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen“ und der Verein „Tamar“ initiierten ein Modellprojekt (1998-2000), bei dem Kinder und Jugendliche begleitet wurden, die in einem Strafverfahren aussagen mussten. Als Ziel wurde formuliert, „Kinderschonung“ vor Gericht zu etablieren. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt, das von Sonja Wohlatz, Sabine Rupp und der Rechtsanwältin Eva Plaz getragen wurde, sind noch heute grundlegend für die Prozessbegleitung von Kindern und Jugendlichen (Kombination von psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung, „duale“ Betreuung von Kind und Bezugssystem, Bedeutung der fallübergreifenden Kooperation der beteiligten Professionen). „Prozessbegleitung“ ist mehr als bloße Begleitung zu Gericht, sondern umfasst die Betreuung während des gesamten Strafverfahrens und über dessen Abschluss hinaus – nicht nur in Hinblick auf den äußeren Strafprozess, sondern auf den inneren Prozess der Bewältigung der belastenden Erfahrungen.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erfolgte bald die Implementierung von Pro­zessbegleitung in ganz Österreich, die in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich verlief. Manche Kinderschutzzentren nahmen Prozessbegleitung früh in ihr Angebot auf, während andere sich spät oder gar nicht um einen eigenen Fördervertrag bemühten. Auch die Einbin­dung der Kinder- und Jugendanwaltschaften verlief regional sehr unterschiedlich.

Parallel zur Entwicklung der Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche entstand die Prozessbegleitung für Frauen als Opfer sexueller und häuslicher Gewalt.

Sabine Rupp wurde mit der Bundeskoordination für den Kinder- und Jugendbereich beauftragt und organisierte u.a. regelmäßige bundesweite Vernetzungstreffen, Ausbildungen und Supervisionsseminare für ProzessbegleiterInnen.

2006 wurde ein Teil der Reform der Strafprozessordnung (STPO-Reform 2008) vorgezogen und der Rechtsanspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung für Gewaltopfer gesetzlich verankert.

2009 wurde die Möglichkeit eingeführt, psychosoziale Prozessbegleitung auch in einem mit dem Strafverfahren in Zusammenhang stehenden Zivilverfahren gegen den Beschuldigten in Anspruch zu nehmen.

Prozessbegleitung ist nunmehr für drei Opfergruppen etabliert:

  • Kinder und Jugendliche (vorrangig angeboten durch Kinderschutzzentren und andere auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Beratungsstellen)
  • Opfer von Gewalt im sozialen Nahraum (Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Notrufe und Gewaltschutzzentren)
  • Opfer situativer Gewalt (Verein Neustart, Weißer Ring)

Seit den Anfängen der Prozessbegleitung kam Österreich damit eine internationale Vorreiterrolle zu, die 2014 auch mit der Auszeichnung „Future Policy Award“ anerkannt wurde.

2011 wurde die Förderung der Bundeskoordinatorin vom zuständigen Ministerium nicht mehr verlängert. Im selben Jahr wurde das Managementzentrum Opferhilfe (MZ.O) vom Justizministerium beauftragt, den Bereich der Opferhilfe zu koordinieren. Ein Prozess der Vereinheitlichung und ver­stärkten Strukturierung von Prozessbegleitung wurde eingeleitet.

2013 bekam der neu gegründete Bundesverband Österreichische Kinderschutzzentren vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend den Auftrag, zur Qualitätssicherung im Kinder- und Jugendbereich eine Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche einzurichten.

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